In Teil 1 dieser kleinen Artikelserie über verschiedene Arten der Heldenreise geht es los.
Das hier ist Teil 2. Heute geht es um die Alternativen zur klassischen Heldenreise: Wer reist da eigentlich wohin?
Ich kann mir vorstellen, diesen Teil noch zu erweitern mit den ganzen Stationen der 3 Heldenreisen, damit du dafür nicht woanders nachlesen musst. Wenn du das spannend fändest, schreib mir. Die Kommentare musste ich schließen wegen Spam-Lawinen und der DGSVO, aber du kannst mir einfach über meine Facebook-Seite schreiben oder mir über Instagram schreiben.
Nicht so mein Ding: Die Heldinnenreise nach Murdock
Der Artikel „Why Screenwriters should embrace the Heroine’s Journey“ stellt (in Englisch) am Beispiel des Films Wonder Woman dar, was Murdocks Heldinnen-Reise von der „männlichen“ Heldenreise unterscheidet.
Ganz, ganz verkürzt angerissen:
Die klassische Heldenreise funktioniert nach dem Schema: Das Dorf des Helden ist super, aber es wird von außen bedroht. Der Held zieht los in die Fremde, trifft Verbündete, vielleicht einen Mentor und Schwellenhüter, haut alles zu Klump, aber muss trotzdem der totalen Vernichtung ins Auge sehen. Er triumphiert über das Böse und (optional) bringt die Rettung für das Dorf heim, z. B. ein Artefakt oder ein Gadget, das die Computer der Feine lahmlegt. (Bei vielen Helden könnte man argumentieren, dass sie selbst das „Elixir“ sind, das am Ende als Rettung in das Dorf zurückkehrt. Asterix und Obelix können mit leeren Händen nach Hause zurückkehren: Da sie diejenigen sind, die das Dorf vor den Römern schützen, bringen sie damit die „Rettung“ heim.)
Murdocks Heldinnenreise unterscheidet sich davon nur in Nuancen (finde ich). Die Anfangsphase läuft länger als beim Klassiker in der normalen Welt der Heldin, bevor das Unheil hereinbricht. Die Heldin möchte eine von der „Mutterfigur“ als männlich bewertete Rolle einnehmen. Es wird ihr verboten, sie tut es trotzdem und zieht (als das Unheil losgeht) mit männlichen Verbündeten los zu „männlichen“ Abenteuern. Es kommt zur Krise und letztlich zur Auseinandersetzung mit der Mutterfigur. Viele andere Elemente sind ähnlich zur klassischen Heldenreise.
Es ist eine gute Inspiration zum Plotten, wenn man eine Protagonistin hat, die gegen die ihr zugeschriebene Rolle protestiert, und wenn sich der größte Teil der Handlung „in der Fremde“ abspielt, wie in Wonder Woman.
Diese Heldinnenreise nach Murdock gilt zwar als feministische Reise, aber ich kann sie mir sehr inspirierend für Geschichten vorstellen um einen Mann oder einen nicht-binären Protagonisten, die gegen eine Mutterfigur/Vaterfigur angehen und verschiedene „untypische Rollen“ ausprobieren müssen, um ihren Platz in der Welt zu finden.
Der Kampf gegen das tyrannische Zuhause
Kim Hudsons „Virgin’s Promise“ stellt eine andere Möglichkeit vor. Das Buch ist leider nur in Englisch erhältlich, mit dem sperrigen Titel The Virgin’s Promise: Writing Stories of Feminine Creative, Spiritual, and Sexual Awakening. (Amazon Affiliate Link)
Hudson betont immer wieder, dass die „Jungfrau“ des Titels jeden Geschlechts sein kann. Bei dieser Heldenreise ist entscheidend: Die Handlung bleibt dort, wo sie beginnt. Ganz verkürzt gesagt: Die Heldin ist Teil einer Gesellschaft, die sie mit Macht in ihre Schranken pressen will. Die Gesellschaft wirkt (evtl.) heil und funktionierend, aber ist im Grunde kaputt. Die Protagonistin entdeckt im Geheimen ein Talent und einen Ort, wo sie das Talent ausleben und verbessern kann. Aber ihr „geheimes“ Leben und die Regeln der Gesellschaft geraten immer mehr in Konflikt. Eines Tages fliegt sie auf und wird bestraft. Sie kann sich befreien und versucht, ihre „geheime Welt“ und die Realität zusammenzubringen, was zum Showdown führt (der auch reichlich Action haben kann) und letztlich das korrupte Regime/die kaputte Gesellschaft mindestens ein Stück weit positiv verändert. (Mehr über die einzelnen Stationen des Plots kann man, in englisch, in diesem guten Blogpost Mythic Structure: The Virgin’s Promise, Part One von Melanie Marttila nachlesen.)
Das gilt als „weiblicher“ Plot, weil die Held*innen nicht losziehen und Abenteuer erleben. Dass aber dieses „in die Fremde ziehen“ als die klassische Form und das Ideal aufgefasst werden, liegt zum einen an den literarischen Vorbildern, die Joseph Campbell kannte, als er die Struktur in den 1940er (!!) Jahren verfasst hat. Zum anderen liegt es daran, dass man mit dem Schema prima einen typischen Abenteuerroman schreiben kann. Hudson zeigt das in ihrem Buch sehr schön auf, dass man(n) in der Fremde ungestraft alles zu Klump zerlegen kann. Man kann als Autor*in den Helden auch auf interessante Art mit seinen neuen Freunden/Verbündeten zusammenbringen – und am Schluss springt der Held aus dem Flugzeug, raucht mit seinen Kumpels eine Zigarre und das Publikum grinst glücklich mit. Denn zu Hause ist ja jetzt alles in Butter – wie es woanders aussieht, ist für den Plot egal. Das hilft, einen coolen, schnellen Schluss zu schreiben. Das schreit doch alles nach Action- und Abenteuerfilm, oder?
Die Held*in der Prinzling-Reise hat es da schon schwerer. Denn wer „zu Hause“ Gebäude, Dinge, Menschen, Artefakte „ohne Grund“ oder mit „böser Absicht“ zerstört (aus Sicht des Systems), der fällt auf. Der wird bestraft. Der kommt am Ende nicht einfach damit durch, dass er/sie das Dorf gerettet hat. Die Protagonisten der Heldenreise nach Hudson finden ihre Freunde auch nicht in der Fremde, sondern zu Hause. Die Freunde sind damit also auch Teil des Systems und werden erst im Lauf der Handlung ihr wahres Gesicht zeigen: Sie wachsen mit der Heldin oder sie verraten sie an das Regime.
Ein paar „Heldinnen“, die diesen Plot durchleben sind z. B.:
- Harry Potter (wenn er z. B. mit seinen Freunden Dumbledore’s Army gründet und im Geheimen trainiert).
- Poes Handlungsstrang in „Last Jedi“. (Während Reys Handlungsstrang der klassischen Heldenreise bis aufs i-Tüpfelchen folgt. Das ist der Hauptgrund, meiner Meinung nach, warum so viele Menschen Probleme mit dem Film haben, ohne wirklich begründen zu können, wieso.)
- Letztlich folgt jeder Film und jedes Buch diesem Plot, wo der Held nicht in die Fremde zieht, sondern gezwungen ist, an Ort und Stelle in den Widerstand zu gehen. Also z. B. viele Dystopien und Science Fiction.
Wobei „Widerstand“ nicht unbedingt im wahrsten Wortsinn gemeint ist. „Kick it like Beckham“ hat eine weibliche Heldenreise und „Shakespeare in Love“ auch. (Während z. B. Jupiter in „Jupiter Ascending“ eine männliche Heldenreise durchlebt. Inklusive komplett zerstörtem Planeten, den sie pfeifend zurücklässt, während sich zu Hause wirklich nichts geändert hat.)
Hier geht es zu Teil 3 der kleinen ArtikelserieDie Heldenreise von Roman und Autorin Teil 3 über verschiedene Varianten der Heldenreise. In Teil 3 geht es um die Varianten, die Bestsellerautoren verwenden und warum diese Alternativen zur klassischen Heldenreise für alle Autoren relevant sind – egal, welches Geschlecht die Autor*innen oder die Protagonisten der Geschichte haben.