In Teil 1 dieser kleinen Artikelserie über verschiedene Arten der Heldenreise geht es los.
In Teil 2 der Artikelserie habe ich dir die klassische Heldenreise und die Alternativen näher vorgestellt und wir haben uns (per Facebooknachrichten) in die Haare bekommen, welche Bücher und welche Filme tatsächlich welchem Schema folgen.
Vielleicht wird das heute in Teil 3 klarer, da ich hier auch über kombinierte Heldenreisen spreche. Besonders Autorinnen erschaffen oft Varianten für ihren Plot, die sich im Fall eines Bestsellers dann verselbstständigen.
Wenn du mich schon länger kennst, vielleicht aus meinen Schreibkursen, weißt du, dass ich sowieso ein Mensch bin, der nicht gern in schwarz-weiß und Theorien denkt. Ich stelle hier zwar Plot-Theorien vor und Bücher bzw. Filme, die das veranschaulichen. Aber an sich ist mir das ziemlich schnurz. Was mir wichtig ist: Dass du als Autor/Autorin einen möglichst großen Werkzeugkasten hast, aus dem du dich bedienen kannst. Und dass du bereit bist, MUSTER in dem zu erkennen, das du gern liest und das du (vielleicht unbewusst) als Vorlage für dein eigenes Plotten wählst.
Ich reite z. B. gern auf dem „Letzten Jedi“ herum, weil ich atemlos im Kino gesessen habe, als mir klar wurde, dass jemand lupenreine Formen der beiden Heldenreisen verwendet hat – mit vertauschten Geschlechtern. War das Absicht? War das Zufall? Die Zuschauerreaktionen legen nahe, dass Menschen immer noch ein Problem damit haben, wenn man genau das tut. Aber für mich als Autorin ist genau so etwas superspannend in der Plotting-Phase: Was, wenn ich eine feministische, archetypische Reise wie Murdocks Heldinnenreise nehme – und meinen männlichen Prota da durchlaufen lasse? Wie verändert sich der Plot dann? Was, wenn dir auffällt, dass du gerade 120. Urban Fantasy-Roman schreibst, wo eine taffe Heldin eine männliche Heldenreise durchlebt – und du auf einem Packen Post-Its mal damit herumspielst, sie stattdessen die Prinzling-Reise zu Hause durchleben zu lassen. Die Bedrohung von außen bleibt gleich – was verändert sich, wenn der Antagonist das heimische Umfeld ist? Wenn die Freunde und Unterstützer nicht (die üblichen) Typen sind, die sie erst dann trifft, wenn sie von zu Hause aufbricht, sondern die genauso wie sie im System gefangen sind? (Denkt da gerade noch jemand außer mir an viele BUFFY-Folgen?)
Es kann ja sein, dass du beim Schreiben dann das meiste von diesen Plot-Spielereien verwirfst — aber sie haben deine Geschichte vielleicht trotzdem um ein paar spannende Szenen oder ungewöhnliche Charaktere bereichert.
Jetzt aber erstmal zu dem Begriff, den ich oben möglichst beiläufig in den Raum geworfen habe: Prinzling. Was’n das?
Warum Prinzling statt Jungfrau?
Hudson spricht in ihrem Buch immer wieder davon, dass die „Jungfrau“ (also Held oder Heldin) in einem „Königreich“ lebt. Das „Königreich“ ist für die Geschichte das, was das „Dorf“ des Helden der klassischen Heldenreise ist. In diesem Königreich gibt es Regeln, denen die Heldin sich zu beugen hat.
Prinzling ist mein eigenes Wort, basierend auf dem Kunstwort „Elbling“, das ich für meine Romanreihe ASTORIA FILES auf Deutsch erfunden habe für Elf-Fee-Hybride. Ich würde total gern „die Prinzessinnen-Reise“ verwenden, aber das ist mir durch Märchen und Disneyfilme zu stark mit einem Plot besetzt, der absolut nicht zu dieser Handlung passt.
„Prinz“ will ich aber auch nicht verwenden, denn dann ist es in den Köpfen zu stark wieder mit einem männlichen Protagonisten verbunden. Daher das Kunstwort „Prinzling“.
Ein Prinzling ist für mich männlich, weiblich oder divers.
Ein Prinzling zeichnet sich dadurch aus, dass sie nicht wie die Prinzen im Märchen in die Fremde ziehen und Abenteuer erleben. Ein Prinzling ist näher in der Realität des Prinzenlebens verwurzelt: Wenn der Monarch stirbt, muss der Prinzling sofort greifbar sein, um die Rolle einzunehmen. Er kann das „Königreich“ nicht verlassen!
Ihr Leben lang wird ein Prinzling auf die zukünftige Rolle vorbereitet, werden ihre Flügel beschnitten, wird ihnen eingeredet, dass sie sich den Normen dieses Königreichs zu beugen haben. (Denk an Viola in „Shakespeare in Love“). Weil sie an das Königreich gebunden sind, wird ein Prinzling nur vor Ort, im Geheimen seine wahren Talente ausleben können.
Das „Königreich“ des Prinzlings kann sein: Das Imperium in STAR WARS, die Rebellenarmee in STAR WARS (in „Last Jedi“), Hogwarts unter Leitung von Dolores Umbridge, Präsident Snow als Stellvertreter für die gesellschaftlichen Regeln in HUNGER GAMES, die gesellschaftlichen Konventionen für Frauen in SHAKESPEARE IN LOVE und anderen historischen Settings.
Ich sags noch mal: Diese Heldenreise wird ignoriert, weil man sie als „Heldenreise für Frauen“ abtut. Dabei beherrscht in unzähligen Dystopien und Science Fiction ein ganz und gar nicht „märchenhaftes“ Königreich das Leben der Helden – und der Plot folgt dem von Hudson beschriebenen Ablauf.
Es macht nämlich häufig einfach keinen Sinn, das Problem im Leben eines Protagonisten mit der „Reise in die Fremde“ zu beantworten.
Bestseller schreiben
Es geht also nicht darum, dass Männer als Protagonisten die eine Art von Romanhandlung erhalten und Frauen die andere, sondern Autor*innen ein Werkzeug an die Hand zu geben, mit dem sie die Art von Handlungsstrang erzählen können, der zu ihrem Charakter passt.
Was ich ungemein spannend finde: Viele Autorinnen plotten ihre Geschichte nach der klassischen Heldenreise, aber stellen dann beim Schreiben fest, dass es nicht so richtig zu ihrem Buch passt. Ohne groß darüber nachzudenken ändern sie Elemente der Reise beim Schreiben, bis es vom Gefühl her „passt“. Vor allem, wenn sich die Geschichte über mehrere Bücher hinzieht.
Ganz viele Bestseller von Frauen (z. B. Harry Potter, Hunger Games) kombinieren beide Arten der Heldenreise.
Wenn Autorinnen und Autoren dann diese Bestseller als VORLAGE ihrer eigenen Romane und Serien nehmen, tragen sie die kombinierte Form der Heldenreise in ihre eigene Geschichte.
Genauso ist es mit den oben erwähnten Dystopien und Science Fiction. Die (häufig männlichen) Autoren der Bücher bekommen gern einen Anfall, wenn man an ihrer Geschichte eine perfekte Prinzling-Reise nachzeichnen kann. „Das war nicht mein Vorbild! Ich habe den Plot ganz ohne Schema F komplett selbst erfunden!“
Zum einen geht es bei den Heldenreisen aller Art um ARCHETYPISCHE Charaktere und Handlungen. Die stehen den meisten Autor*innen und Leser*innen instinktiv zur Verfügung. Zum anderen lesen die meisten Autoren viel. Die Plots, die man gelesen hat, schlagen sich in den eigenen Manuskripten nieder.
Dann nehme ich doch einfach beides!
Wenn man die kombinierte Heldenreise übernimmt, ohne zu merken, was da passiert, kann es beim Schreiben zum Stolpern führen. Denn die von Hudson beschriebene Reise „innerhalb des Königreichs“ folgt auch archetypischen Regeln, genau wie die klassische Heldenreise von Campbell. Natürlich kann und soll jede Autorin und jeder Autor Plotvorgaben frei abändern und neu erfinden, aber jede Abweichung kann beim Leser zu einem Gefühl von Dissonanz führen. Zum Beispiel wenn die Heldin eigentlich ein Prinzling im Widerstand zu Hause ist, dann aber in die Fremde zieht und Abenteuer erlebt und mit dem Elixir triumphierend nach Hause reist. Das gibt dann die Buch-Rezis, wo Leserinnen schreiben: „Den Schluss fand ich total unglaubwürdig!“ Oder „Ja, aber … Es ist doch gar nicht alles gut, am Ende?“
Mir ging es z. B. bei „Jupiter Ascending“ so. Was hätte das für ein spannender Quatsch-Film werden können! Quasi Scifi Fantasy Romance zum Gucken. Abgesehen von vielen anderen Details des Films, wo man sich an die Stirn schlägt, zerstört das Ende ihn. Das ist nicht lustig. Das ist einfach nur … seltsam. Ich habe bisher noch keine Frau getroffen, die den Film geschaut hat, und die am Ende nicht auf 180 war. „Wieso muss sie denn immer noch Klos putzen?“ „Warum tritt sie ihrer Familie nicht in den Arsch und baut sich mit Caine woanders ein cooles Leben auf?“
Das ist (übertrieben gesprochen) so, als ob J. K. Rowling Harry Potter und seine Freunde Voldemort besiegen lässt – und dann huschen sie alle ins Internat zurück, wo sie nach den Regeln von Dolores Umbridge leben.